„MFM ist eine Herzenssache” – Interview mit Dr. Raith-Paula

Die preisgekrönte Bestsellerautorin Dr. Raith-Paula spricht im Interview über das MFM Programm, in dem jährlich tausende Kinder aufgeklärt werden.

Elisabeth Raith-Paula

Dr. med. Elisabeth Raith-Paula die Gründerin des MFM Programmes

Was war deine größte Motivation für die Gründung des MFM Programmes?

Als ich etwa 1984 meine Doktorarbeit zum Thema „Natürliche Familienplanung (NFP)” geschrieben habe, wurde mir klar, dass ich bis dahin relativ wenig über mich, meinen Körper und die Fruchtbarkeit der Frau wusste. So wurde es mein großes Anliegen, diese Körperkompetenz und dieses biologische Basiswissen an andere Menschen weiterzugeben. Bei der Gründung des MFM Projektes spielt meine Vorlesung „Die leise Sprache unseres Körpers” eine Schlüsselrolle, denn hier kläre ich seit über 20 Jahren viele Studentinnen über die Zeichen der Fruchtbarkeit und die wahre Bedeutung der Menstruation auf. Immer wieder fragten mich viele Studentinnen nach der Veranstaltung: „Warum habe ich das nicht schon viel früher erfahren? Warum steht so etwas nicht in der Bravo? Hätte ich dieses Wissen über Körper und Fruchtbarkeit 10 Jahre früher erfahren, hätte ich meine Pubertät bestimmt positiver erlebt!“ Diese Aussagen häuften sich und mir wurde klar, dass hier wirklich etwas passieren muss. So entwickelte ich „die Zyklusshow“, einen Workshop für Mädchen im Alter von 10 bis 12 Jahren, der sie altersgerecht, unterhaltsam und liebevoll über die Veränderungen ihres Körpers in der Pubertät und die Entstehung des Lebens aufklärt.

Welche Ziele möchtest du langfristig mit MFM erreichen?

Bis heute sind die Themen Zyklus, Fruchtbarkeit und Menstruation ein Tabu in unserer Gesellschaft. Der Biologieunterricht beschränkt sich auf biologisches Faktenwissen, meist stehen dabei die Gefahren in Zusammenhang mit Fruchtbarkeit und Sexualität im Mittelpunkt. An dieser Stelle bietet MFM eine sehr wichtige Ergänzung zum Biologieunterricht, denn bevor ich überhaupt die ganzen Gefahren erkennen, begreifen bzw. mich schützen kann, muss ich zunächst mich und meinen eigenen Körper verstehen lernen. In jedem von uns passieren so viele fantastische Dinge, die jeder von uns wissen und schätzen sollte. Aus diesem Grund ist der Leitgedanke von MFM bis heute „Nur was ich schätze, kann ich schützen.” Die Wertschätzung des eigenen Körpers ist aus meiner Sicht DIE Grundprävention, auf der alles andere aufbaut. Diese Grundprävention möchten wir natürlich vielen Jungen, Mädchen und Eltern mit auf den Weg geben. Hierfür möchten wir in den nächsten Jahren national als auch international die Voraussetzungen schaffen.

Nun gibt es ja, nicht nur den Workshop für Mädchen, sondern auch für Jungen. Wie kam es dazu, und was ist bei den Jungen anders?

Das ist eine sehr schöne Geschichte. Anfangs haben wir die Workshops an den Schulen nur für Mädchen durchgeführt. Schon zu dieser Zeit haben wir über einen Workshop für Jungen nachgedacht, es fehlte aber der letzte entscheidende Impuls. Dieser sollte dann schneller kommen als wir erwartet haben, als die Jungen in einem Münchner Gymnasium zeitgleich zum Mädchenworkshop regulären Unterricht hatten und deshalb stinksauer waren. Sie bastelten sich ein Plakat, zogen damit in der Pause vors Lehrerzimmer und auf dem Plakat stand: „Wir fordern Gleichberechtigung!“ Nach dieser kleinen Demo war uns klar, dass wir auch einen Workshop für Jungen organisieren mussten. Hier haben eine deutsche und eine österreichische Autorengruppe zusammen das Konzept für den Jungenworkshop entwickelt. Dieser ist natürlich anders als bei den Mädchen, da er auf die Bedürfnisse der Jungen in diesem Alter ausgerichtet ist. Der größte Unterschied zum Mädchenworkshop ist meiner Ansicht nach die Perspektive, von der aus die Entstehung des Lebens und die körperlichen Vorgänge betrachtet werden. Während die Mädchen vorwiegend die Rolle der Hormone im weiblichen Körper einnehmen, schlüpfen die Jungen in die Rolle der Spermien, die ihren Weg zur Eizelle zurücklegen.

Du hast nun mittlerweile viele Preise für dein MFM-Engagement gewonnen, wie beispielsweise das Bundesverdienstkreuz – wie viel bedeuten dir persönlich solche Preise?

Natürlich ist es eine Ehre das Bundesverdienstkreuz und ähnliche Preise zu erhalten. Dennoch definiere ich mich nicht darüber und arbeite auch nicht darauf hin. Für mich ist MFM eine Herzenssache, die mein Leben total ausfüllt und erfüllt. Allerdings muss ich schon zugeben, dass die Preise natürlich dabei helfen, MFM bekannter zu machen, daher freue ich mich natürlich über jeden Preis – weil er der großen Sache dient.

Was sind deiner Meinung nach die drei Hauptgründe für Eltern, ihr Kind an einem MFM Workshop teilnehmen zu lassen?

Es gibt hier sehr viele verschiedene Motivationen. Die meisten Eltern entwickeln ihre Motivation im Elternvortrag. Zum einen gibt es Eltern, die mit diesem Thema schlechte Erfahrungen haben, weil sie selbst auf sehr unschöne Weise aufgeklärt wurden. Diese Eltern wünschen sich natürlich, dass ihr Kind es besser hat, als sie es damals hatten und sind sehr motiviert, ihren Sohn oder Tochter in einen Workshop zu schicken. Zum anderen sind die Eltern häufig von dem pädagogisch ausgefeilten Konzept begeistert und möchten, dass ihr Kind auch auf spielerische Art die Veränderungen des Körpers in der Pubertät erleben kann. Darüber hinaus ist es nicht selten, dass Eltern auch beim Elternvortrag feststellen, wie wenig sie über sich selbst wissen, und wie schwierig es ist, dieses Wissen ihren Kindern altersgerecht zu vermitteln. Diese Eltern sind sehr froh und dankbar dafür, dass sie ihr Kind von geschulten ReferentInnen in einer angemessenen Sprache aufklären lassen können.

Zyklushow MFM Programm / Projekt

Elisabeth Raith-Paula mit Herz bei der MFM Arbeit

97,5% der Kinder, die am MFM Workshop teilgenommen haben, gaben im Anschluss ein positives Feedback. Worauf führst du diese Erfolgsquote zurück?

Ich denke, dass es hier das Gesamtkonzept ist, was wirklich überzeugen kann. Unser innovativer Ansatz, nämlich die Verbindung von biologischem Faktenwissen einerseits mit einer emotional berührenden Didaktik andrerseits, d.h. die Verbindung von Herz und Verstand ist es, was unser Konzept so erfolgreich macht. Die Mädchen und Jungen werden von dem, was in ihrem Körper vorgeht – „emotional berührt“, oder viel einfacher ausgedrückt – sie verlassen den Workshop nicht – wie oftmals im Biounterricht – mit dem Gefühl von „eklig“ oder „peinlich“, sondern mit Begeisterung, Stolz und einem Hochgefühl: „Es ist toll – eine Frau zu werden!“, „es ist cool, ein Mann zu werden!“. Es gibt noch weitere Erfolgskriterien: Sowohl der Jungen- als auch der Mädchenworkshop ist mit absoluter Überzeugung und Leidenschaft entstanden. Außerdem wird nach jedem Workshop ein Feedbackbogen ausgefüllt, sodass wir ziemlich genau wissen, was wir noch besser machen können. Der Workshop sowohl vom Material als auch vom Konzept und den Inhalten ständig aktualisiert. Ein letzter wichtiger Punkt ist auch ganz sicher die wirklich gute Auswahl der MFM Referenten bzw. Referentinnen, für die MFM absolute Herzenssache ist!

Wie sorgst du für die hohe Qualitätssicherung der Workshops und ReferentInnen, die ja aus sehr verschiedenen Berufsgruppen kommen?

Der MFM Deutschland e.V. hat derzeit 14 regionale MFM Zentralen in Deutschland. Diese Zentralen haben eine ganz entscheidende Bedeutung in der Auswahl der ReferentInnen. Zuerst müssen alle ReferentInnen, bevor sie die Ausbildung besuchen, mindestens einmal bei einem Workshop hospitiert haben. Beim Gespräch mit dem regionalen Verantwortlichen wird abgeklärt, ob sowohl berufliche Qualifikation, wie Interesse und Motivation als auch Persönlichkeit zu MFM passen. Mit dieser Vorauswahl haben wir bisher gute Erfahrungen gemacht. Die theoretische Ausbildung der Frauen nehme ich immer noch selbst in die Hand und auch bei den Männer bin ich immer noch beteiligt, sodass ich mir immer selbst einen Eindruck von den ReferentInnen bilden kann. Die praktische Ausbildung übernehmen erfahrene ReferentInnen in der jeweiligen Region. vor. Ganz wichtig ist es auch immer auf dem aktuellen Stand der Wissenschaft und Pädagogik zu sein, daher führen wir immer wieder Weiterbildungen durch, die unseren ReferentInnen die Möglichkeit geben, ihr Wissen zu erweitern und aufzufrischen.

Seit dem letzten Jahr (2012) ist MFM ein eingetragener Verein. Wie kam es zu diesem Schritt?

Jährlich werden in Deutschland etwa 57.000 Kinder und Eltern in knapp 4.000 Workshops von 330 ReferentInnen aufgeklärt. Damit hat MFM mittlerweile einfach eine solche Größe und Reichweite erreicht, dass es von einer Einzelperson, und sei sie mit noch so viel Herzblut engagiert, nicht mehr geleitet werden kann. Außerdem musste MFM zukunftssicher, d.h. „personenunabhängig“ aufgestellt werden. Aus diesem Gründen haben wir uns zur Gründung des Vereins MFM Deutschland e.V. entschlossen. Außerdem fanden wir die Bezeichnung „Projekt“ inzwischen unpassend, da mit diesem Begriff ein Anfang und ein Ende impliziert wird. MFM aber soll noch lange weiterbestehen und auch in Zukunft viele Mädchen und Jungen altersgerecht, wertschätzend und ganzheitlich über die Entstehung des Lebens und die Veränderungen des Körpers in der Pubertät aufklären. Unsere Vision für die Zukunft geht aber noch weit darüber hinaus! Unser Ziel ist es, Menschen gemäß unseres Leitgedankens: “Nur was ich schätze, kann ich schützen” in ALLEN Lebensphasen – (Kindheit, Pubertät, fruchtbare Phase, Wechseljahre und die Zeit danach) dabei zu unterstützen, einen positiven Bezug zu ihrem Körper zu entwickeln. Aus diesem Grund sprechen wir im Zuge der Vereinsgründung nicht mehr vom MFM Projekt, sondern vom MFM Programm. Mittlerweile ist MFM längst über die Grenzen Deutschlands hinaus gewachsen. Es gibt MFM-Partnerorganisationen in der Schweiz, Frankreich, Südtirol, Österreich und England, Ungarn und Belgien. Diese Internationalisierung wird durch die neue englischsprachige Abkürzung „My Fertility Matters” (dt. meine Fruchtbarkeit zählt) zum Ausdruck gebracht. Unsere vorrangige Aufgabe ist es jetzt nach Vereinsgründung zunächst einmal, MFM sowohl personell als auch finanziell auf solide Beine zu stellen.

In diesem Jahr (2013) kam die neue Auflage deines Buches „Was ist los in meinem Körper?” heraus. Unter anderem hast du die neusten Erkenntnisse zur Entstehung des Lebens neu eingearbeitet. Welche Erkenntnis fandest du persönlich am bedeutsamsten?

Ich muss ganz ehrlich sagen, dass diese Frage schwierig zu beantworten ist, da ich eigentlich alle Änderungen als wichtig und sinnvoll ansehe. Hinsichtlich der Befruchtung von Eizelle und Spermium finde ich immer wieder faszinierend, dass wir immer noch nicht alles wissen. Jahr um Jahr kommen neue Hypothesen und Studien heraus, die dann in wenigen Jahren wieder verworfen werden. Derzeit ist die Hypothese im Umlauf, dass die Östrogene, die u.a. für die Bildung des für die Spermien überlebenswichtigen Zervixschleims verantwortlich sind, noch eine andere Aufgabe haben. Sie sollen die zusätzlich noch regelmäßigen Muskelkontraktionen der Gebärmutter verursachen, die einen Sog bilden, sodass die Spermien wie in Aufzügen vom Muttermund über die Gebärmutter in den Eileiter gelangen können. Ebenso faszinierend ist, dass einige Wissenschaftler der Ansicht sind, dass die Eizelle sich das Spermium auswählt, das sie befruchten darf. Demnach wäre die Entscheidung des Geschlechts dann nicht nur reine Männersache. An diesen Hypothesen sehen wir, dass wir noch viel über die Entstehung des Lebens lernen können. Ich bin schon gespannt, wann eine These mal wirklich längerfristig Bestand hat. Für mich ist die Entstehung neuen Lebens ein Wunder, das man immer noch nicht ganz verstanden hat.

Das Interview führte Marcus Krahlisch

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