Waldkindergarten – Wunder oder Wagnis?

Wald-KindergartenIst ein Waldkindergarten als Betreuungsort für dein Kind geeignet? Meine Pro Contra Liste macht es dir einfacher eine Entscheidung zu fällen.

Ich bin Vater eines fast zehn Monate alten Babys und gerade auf Kita-Suche. Hierbei fand ich von Anfang an das Konzept des Waldkindergartens interessant. Allerdings bin ich selbst in einen regulären Kindergarten gegangen und daher frage ich mich, welche Vor- und Nachteile der Waldkindergarten für die Entwicklung des Kindes hat? Was passiert, wenn man sein Kind in einen spielzeugfreien Kindergarten, ohne großartige Räumlichkeiten, jeden Tag bei Wind und Wetter in den Wald schickt? Objektive Informationen sind auf den Websites der Waldkindergärten nicht zu erhalten, da diese ja FÜR das Konzept werben, um viele Anmeldungen zu erhaschen. Also habe ich mir die Mühe gemacht, das Buch „Der Waldkindergarten” von Diplom Pädagogin Kirsten Bickel, inklusive Studien, Erfahrungsberichte und Umfragen, zu lesen und eine objektive Pro- Contra Liste zum Thema Waldkindergarten zusammenzustellen.

Pro

    • Erfahrungen

Viele Eltern haben sehr gute Erfahrungen bei der Betreuung ihrer Kinder im Waldkindergarten gemacht.

„Unsere 1. Tochter war im Regelkindergarten. Unser 2. Sohn im Waldkindergarten . Während unsere Tochter gestresst von Lärm, Luft Streit nach Hause kam, war unser Sohn schmutzig, zufrieden, fröhlich und ausgeglichen.”

    • Umwelterziehung/Naturverbundenheit

Bei einer Befragung kam heraus, dass viele Eltern eine positive Veränderung der Naturverbundenheit bei ihrem Kind bemerkt haben. Viele Eltern sind von dem Naturverständnis der Kinder beeindruckt und können sogar von ihnen lernen. Darüber hinaus können viele Eltern mit ihren Kindern nur noch mit Mülltüte spazieren gehen, denn jede Verschmutzung der Umwelt wird vom Kind eingesammelt.

    • Bewegung/Motorik

Die Förderung der Bewegung/Motorik ist nach aktueller Studienlage das stärkste Argument für einen Waldkindergarten. Fast jedes vierte Kind ist schon bei Schuleintritt zu dick. Die Bewegungsmöglichkeiten in Regelkindergärten sind eingeschränkt. Darüber hinaus sorgt das Medienangebot für eine „Generation Stubenhocker”. Im Waldkindergarten legen die Kinder durchschnittlich etwa einen Kilometer pro Tag zurück. Die Motorik und Bewegungsfreude des Kindes hat, nach einer Befragung der Eltern, stark zugenommen. Viele Kinder, die einen Waldkindergarten besucht haben, empfinden das ständige Sitzen in der Schule als Einschränkung.

    • Spielverhalten

Das Spielverhalten der Kinder ist beeindruckend. Da die Kinder kein Spielzeug haben, beschäftigen sie sich lieber mit der Natur und den anderen Kindern. Ein Pädagoge berichtet bei seiner Hospitation im Waldkindergarten, dass die Kinder eine unglaubliche Phantasie miteinander entwickeln und gut miteinander kooperieren. Bei schwierigen Passagen im Wald helfen die Kinder sich gegenseitig. Besonders schön fand ich die Spielidee der Kinder ein Tierkrankenhaus zu erschaffen, wobei ein paar Kinder die behandelnden Ärzte und die anderen die kranken Tiere spielten. Diese Idee kam frei von den Kindern ohne Anregung der Erzieher oder Pädagogen.

    • Kind wird als Individuum gesehen

Meist werden die durchschnittlich 15 bis 20 großen Kindergruppen in jeweils zwei Kinder aufgeteilt. Wobei die zwei Kinder gegenseitig auf sich achten sollen. Die Kinder werden von den Pädagogen nicht zum spielen angeregt so lange sie glücklich sind. Die einzige vorgeschriebene Gemeinschaftsaktivität im Tagesablauf ist der Morgenkreis und das Mittagessen. Jedes Kind wird als Individuum mit eigenen Bedürfnissen betrachtet und behandelt. So berichten viele Eltern, dass ihre Kinder offener und zufriedener im Waldkindergarten sind.

    • Jeden Tag etwas Neues

Im Waldkindergarten gibt es keinen vorgeschriebenen Tagesablauf. Jeden Tag können die Kinder ihre Tagesspiele selbst bestimmen. Hierbei spielt das Wetter in der Gestaltung eine große Rolle. Schließlich weiß man nie, wie das Wetter wird. Bei Regen lassen sich kleine Gräben bauen, bei Sonnenschein die anliegende Wiese erkunden. In der Regel versuchen die Wildnis-Pädagogen auch immer wieder neue Ruten im Wald zu erkunden und anliegende Biobauern, Tierfarmen, Pferdezucht oder sonstige interessante Orte zu besuchen.

    • Frische Luft/Lautstärke

Die Pädagogin Kirsten Bickel fand bei ihrer Hospitation eines Waldkindergartens besonders die Ruhe beeindruckend. Während sich im Regelkindergarten 20 Kinderstimmen in einem kleinem Raum versammeln und somit schon eine ordentliche Beschallung der Kinder und Betreuer erzeugen – verteilen sich die Stimmen im Wald, sodass der Geräuschpegel sehr niedrig bleibt. Ähnlich sieht es beim Punkt der frischen Luft aus, die in einem geschlossenen Raum in der Stadt niemals mit der Güte des Waldes unter Bäumen und Pflanzen zu vergleichen ist.

    • Alternative zum Konsumsumpf

Wir leben in einer Konsumgesellschaft, die nur funktioniert wenn wir alle auch ordentlich Geld ausgeben. Viele Eltern suchen hier Alternativen, um ihrem Kind zu zeigen, dass man auch ohne die ganzen Konsumgüter und Spielsachen auskommen kann. Der Waldkindergarten eröffnet Eltern eine Möglichkeit ihre Kinder zumindest für die Zeit des Kindergartens der Konsumgesellschaft zu entgehen. Um es mit den Worten der Eltern auszudrücken:

„Gebt den Kindern die Natur, so entfalten sie ihre Phantasie”

    • Gesundheit

Natürlich gibt es in einem Wald Risiken wie z. B. der Zeckenbiss, Fuchsbandwurm, Tollwut, Insekten oder die Borreliose. Allerdings werden hier im Waldkindergarten sehr gute Schutzmaßnahmen vorgenommen. Beispielsweise dürfen keine Objekte des Waldes durch die Kinder in den Mund genommen werden. Darüber hinaus sollen Kinder an Risikotagen zunehmend helle Kleidung tragen, damit Zecken schneller zu sehen sind. Ebenso wird in Süddeutschland zu einer Zeckenimpfung der Kinder geraten. Ebenso helfen die minimalen Verhaltensregeln und die Verantwortlichkeit zweier Kinder füreinander dabei, dass in Waldkindergärten kaum nennenswerte gesundheitliche Probleme auftauchen. Ganz im Gegenteil die Eltern berichten im Feedbackbogen sogar, dass ihre Kinder viel weniger krank sind als vor der Zeit im Waldkindergarten.

    • Geringe Anzahl an Regeln

Die eingeführten Regeln im Waldkindergarten dienen nur dem Schutz der Kinder. Beispielsweise dürfen im Sommer wegen Bienen und Wespengefahr keine süßen Speisen mit in den Wald gebracht werden. Oder an einer Wegkreuzung wird gemeinsam gewartet, damit auch kein Kind verloren geht. Generell gibt es im Waldkindergarten so wenig Regeln wie möglich, damit die Kinder ihre Freiheit und Phantasie frei entfalten können. In unserer Welt aus Regeln und Normen empfinden diesen Punkt viele Eltern als positiv.

Contra

    • Anfahrt/Abholung/Transport

Waldgebiete liegen häufig am Stadtrand, wo der öffentliche Verkehr meist nicht so gut ausgebaut ist. So ist der Transport der Kinder zum Waldkindergarten bzw. die Abholung häufig nur mit dem eigenen Auto möglich. Auch in Berlin sind nur zwei von fünf Kindergärten wirklich gut mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar. Viele Eltern würden sich einen Shuttle Bus wünschen, der die Kinder abholt und wieder zurückbringt ähnlich wie ein Schulbus. Leider wird dies in den meisten Fällen nicht umgesetzt.

    • Rückzugsmöglichkeiten bei Krankheit

Meistens haben die Waldkindergärten maximal einen ausgebauten Bauwagen, in denen sich die Kinder zurückziehen können. Dieser ist im Regelfall noch nicht mal beheizt. Also schneidet der Waldkindergarten beim Thema „Rückzugsmöglichkeiten der Kinder bei Krankheit” in der Regel schlechter als andere Kitas ab.

    • Betreuungszeiten für Berufstätige Eltern

Oftmals stehen im Waldkindergarten nur Halbtagesplätze zur Verfügung, da man einen Aufenthalt im Freien für länger als 4 bis 5 Stunden täglich bei jedem Wetter nicht verantworten kann. In Berlin hat sich die Situation allerdings schon etwas umgekehrt, hier bekommt man kaum noch einen Halbtags- Kindergartenplatz. Hintergrund ist, dass die Kindergärten für eine Ganztagsbetreuung wesentlich mehr Geld vom Senat bekommen und somit Eltern mit Wunsch einer Halbtagesbetreuung in der Regel ablehnen. Dennoch haben die meisten Waldkindergärten nur Halbtagesplätze.

    • lange Wartelisten

Die langen Wartenlisten in Kitas sind eigentlich ein generelles Problem in Deutschland. Bei Waldkindergärten sieht es allerdings noch ein wenig schlimmer aus, da es immer noch sehr wenige Waldkitas gibt. Es gibt in Deutschland etwa 52000 Kindergärten, davon sind nur etwa 1000 Waldkindergärten.

    • Elternmitarbeit

Für Eltern, die ihr Kind in den Waldkindergarten schicken, ist Elternmitarbeit meist Pflicht. Etwa zwei bis vier Stunden pro Monat müssen die Eltern einplanen. Häufig sind es Reinigungsarbeiten, Bauen- und Gestalten, Einkaufen und Besorgungen, Buchhaltung (Monatsausgabenrechnung usw.). Falls die Eltern keine Zeit haben, können sie einen Geldbetrag als Ersatzleistung spenden. Für beruflich eingespannte Eltern könnte der Waldkindergarten somit zu einer weiteren Belastung führen.

    • Integrationsmöglichkeiten für Behinderte Kinder

Behinderte Kinder haben derzeit keinen Platz im Waldkindergarten. Das Konzept ist halt nur auf gesunden Kindern ausgelegt. Als Alternative kann man hier nur den Waldorf Kindergarten empfehlen, der ein ähnliches Konzept hat, aber zum Teil spezielle Integrationsmöglichkeiten für Kinder bereitstellt.

    • Jungenüberschuss

Die meisten Waldkindergärten haben einen Jungenüberschuss von etwa 10 Prozent. Das heißt, dass eine Kindergruppe von 20 Personen, aus etwa 12 Jungen und 8 Mädchen besteht.

    • Schulvorbereitung ungeklärt

Das Waldkindergartenkonzept ist noch sehr jung. Erst im Jahr 1993 wurde der erste Waldkindergarten in Deutschland gegründet. Aus diesem Grund existieren noch keine umfassenden Studien, ob der Waldkindergarten die Kinder optimal auf das Leben in der Schule vorbereitet. Die Erfahrungen der Eltern sind allerdings weitgehend positiv.

Ist der Waldkindergarten ein Wunder oder Wagnis?

Meiner Ansicht nach ist der Waldkindergarten auf der einen Seite ein Wunder, weil die Kinder dort viele wichtige Dinge lernen, die in der heutigen Zeit fehlen. Nur wer die Natur kennt, kann sie schützen. Stellen wir uns mal vor alle Kinder würden in Waldkindergärten groß werden, wahrscheinlich würde es dann keine Regenwaldabholzung oder Atomenergie geben. Ebenso lernen die Kinder zu schätzen, dass Unterhaltung auch miteinander ohne technische Geräte oder Unterhaltungsmedien funktionieren kann. Die motorische Entwicklung der Kinder ist im Waldkindergarten besser als in allen anderen Kita-Konzepten – was auch der „Stubenhocker Gesellschaft” etwas entgegenwirkt.

Auf der anderen Seite ist der Waldkindergarten auch ein Wagnis, da das Konzept noch sehr jung ist. Beispielsweise ist nicht klar, ob sich der Waldkindergarten für die Schulvorbereitung eignet. Darüber hinaus kann ich mir vorstellen, dass für berufstätige Eltern der Waldkindergarten eine große Herausforderung ist. Neben dem Beruf auch noch Elternarbeit zu leisten und mit einer Halbtagesbetreuung auszukommen ist nicht einfach. Doch generell finde ich, dass das Waldkindergarten-Konzept ein wirklich neuer interessanter Ansatz der Kinderbetreuung ist, der berechtigt seinen Platz in der Gesellschaft hat.

Ich möchte diesen Artikel mit einem Zitat von ein Vater abschließen, der sein Kind immer wieder in den Waldkindergarten schicken würde:

„Erlebnis steht im Vordergrund, denn nur das Lernen, was mit der Seele aufgenommen wird, wird Eigentum, alles andere bleibt äußerlich, eigentlich unverstanden.”

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{ 2 comments… add one }
  • 4. April 2020, 01:09

    Hallo, eine gute, differenzierte Zusammenfassung. Die fehlenden Erkenntnisse zur Vorschule sind meiner Meinung nach auch ein Problem. Ich frage mich aber, warum das noch nicht geschehen ist. Ganz neu ist das Konzept ja auch nicht mehr.

    Grüße
    jana

  • lordOtt
    12. März 2018, 18:00

    völlig unfundierter schwachsinn
    der waldkindergarten bietet unwahrscheinlich gute vorraussetzungen für die inklusion von kindern mit behinderungen und hat dies auch in seiner konzeptionellen grundlage verankert.

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