NFP in Belgien

Pierre Hernalsteen

Pierre Hernalsteen

Interview mit dem Leiter der NFP Gruppe Belgien Pierre Hernalsteen liefert interessante Einblicke in unser Nachbarland.

Pierre, du bist aktuell der Leiter der NFP Gruppe Belgien. Wie bist zu du NFP gekommen?

Nachdem wir innerhalb von drei Jahren drei Kinder bekommen hatten, hörten wir während eines Familientages etwas über eine NFP Veranstaltung. Wir erfuhren, dass in Brügge ein Beraterkurs stattfinden soll. Ursprünglich war es nicht unser Ziel Berater zu werden, doch wir sahen den Kurs als gute Möglichkeit, die symptothermale Methode zu erlernen. Da unser Sohn erst ein paar Wochen alt war, ging ich das erste Wochenende alleine zum Kurs, wo Dr. Anna Flynn und Dr. André Devos mich sofort von der Selbstverständlichkeit und Effizienz von Sensiplan überzeugen konnten.

Du bist aus meiner Sicht ein großes Sprachtalent. Dieses Interview haben wir beispielsweise fließend in deutsch geführt. Wie viele Sprachen sprichst du aktuell und wie hast du diese erlernt?

Obwohl ich in Antwerpen geboren bin, ist meine Muttersprache Französisch. Meine Großeltern und meine ganze Familie mütterlicherseits wohnten in Frankreich. In der Grundschule lernte ich niederländisch. Später habe ich dann dazu noch Latein, Griechisch, Englisch und Deutsch gelernt. Meine Deutschkenntnisse habe ich vornehmlich durch mein Germanistik-Studium und später durch meine Spezialisierung in der Theaterwissenschaften in Wien vertieft. Englisch ist die Sprache der Wissenschaft, die ich heute vorwiegend auf internationalen Konferenzen und für das wissenschaftliche Verständnis der medizinischen NFP Studien gebrauche. Heute also, beschränkt sich meine Sprachkenntnis auf vier lebendige Sprachen (Niederländisch, Französisch, Deutsch und Englisch). Aber ich merke, dass dies nicht immer ausreicht. Beispielsweise kommt man in Südamerika ohne Spanisch-Kenntnisse nicht sehr weit. Zum Glück hat meine jüngste Tochter einige Monate in Argentinien gelebt, so dass sie mir mit der spanischen Sprache bei Bedarf helfen kann.

Nach meinen Recherchen bist du der Autor der niederländischen Version von „Natürlich und sicher!” (Natuurlijk & zeker). Wie kam es zu deinem Engagement? Was war für dich die größte Herausforderung bei der Übersetzung?

Als Dr. Devos eine Finanzierung für NFP fand, konnte ich eine Stelle als NFP Koordinator in Belgien antreten. Einer meiner ersten Aufträge war die Übersetzung der ersten Fassung von ‚Natürlich und sicher‘ ins Niederländische. Damals war die größte Herausforderung, einen Herausgeber zu finden. Glücklicherweise hat es schließlich geklappt. Inzwischen hat ein niederländischer Herausgeber diese Rolle übernommen, so dass wir jetzt die aktuelle Sensiplan-Fassung in niederländischer Sprache haben. Ich bin sehr stolz auf die heutige Fassung. Wenn man die deutsche Fassung und die niederländische Fassung nebeneinander legt, dann sind es ausgenommen von der Sprache „Zwillinge”. Übrigens hat man kürzlich in der Wallonie (Frankreich) jetzt mit den Übersetzungsarbeiten einer französischen Version von „Natürlich und sicher” begonnen. An dieser bin ich ebenfalls als Übersetzer beteiligt. Ich hoffe, dass im Frühjahr 2015 ‚Natürlich und sicher‘ auch in französischer Sprache in der Buchhandlung erhältlich ist.

In Deutschland wenden unter 1 Prozent der Bevölkerung NFP Methoden zur Verhütung oder bei Kinderwunsch an. Gibt es Zahlen, wie viele Menschen in Belgien NFP anwenden?

Das ist schwer zu sagen. Wir haben im niederländischen Sprachraum ein paar tausend Bücher verkauft (etwa 23 Millionen Einwohner). Einige Bücher sind in Bibliotheken zugänglich. Einmal hat mir eine Frau bei einem Telefonat erzählt, dass sie das Buch aus einer solchen Bibliothek fotokopiert hat. Das sollte man eigentlich nicht direkt zum Herausgeber sagen *lacht* Ich habe allerdings von irgendeiner Strafe abgesehen. Mir geht es ja darum, dass sich die Sensiplan Methode verbreitet. Die kleine Geschichte zeigt, dass nicht alle Natürlich und sicher kaufen, sondern einige fotokopieren es auch. Somit wissen wir nicht genau, wie viele Frauen das Buch wirklich gelesen haben. Andererseits ist es so, dass in Belgien viele Pharmabetriebe ansässig sind und die Belgier somit die größten Pillenschlucker Europas sind. Aus diesem Grund bin ich mir sicher, dass die Anwenderzahl in Belgien ebenso wie in Deutschland unter 1% liegt.

Was tut ihr konkret, um NFP in Belgien zu verbreiten? Was sind hierbei die größten Herausforderungen?

Wir versuchen mit unseren Aktionen bestimmte Zielgruppen zu erreichen. Hebammen sind in bestimmten Maße an NFP interessiert, vor allem die selbständigen Hebammen. Diejenige, die in Krankenhäusern arbeiten, sind mehr von ihren Gynäkologen und der Pharmaindustrie beeinflusst. Weiter zeigen alternative Gruppen, wie bei bestimmten Homöopathen oder andere Alternativmediziner ein gewisses Interesse an NFP. In den 90er Jahren haben wir auch Anhänger der New Age Bewegung für NFP begeistern können. Seit den letzten zehn Jahren ist für uns das Internet eine der stärksten Hilfsmittel geworden um NFP zu verbreiten. So haben wir beispielsweise eine niederländische Facebookseite auf der regelmäßig etwas veröffentlicht wird und eine Homepage die mehrsprachig ist und interessante Infos bereithält. Ab und zu trete ich auch auf internationalen Konferenzen auf und werde dabei gefilmt, wenn ich über NFP spreche, wie z. B. beim World Congress of Families V 2009. Seit 2007 wir versucht haben, in der Sozialversicherung NFP als Ersttherapie bei Kinderwunsch einzuführen, also statt IVF oder IUI. Obwohl wir einen äußerst starkes Dossier ausgearbeitet haben, das aus wissenschaftlicher Perspektive aller Kritik standhalten kann, lehnt die belgische Politik NFP bis heute ab. Doch es gibt Hoffnung, dass sich daran schon bald etwas ändern könnte. Beispielsweise müssen die Paare nun etwa sechs Monate warten bis sie die Methoden der modernen Reproduktionsmedizin nutzen dürfen. Allerdings schließt die Wartezeit keine Kontrolle mit ein. Das heißt niemand prüft, ob diese Paare zum richtigem Zeitpunkt Verkehr haben, oder ob die Frau einen gesunden Zyklus hat. Somit wird sich mit dieser Maßnahme wahrscheinlich nicht wirklich etwas an der aktuellen Statistik verbessern. So hoffe ich, dass die Politik, um Kosten zu sparen, schon bald gezwungen ist Sensiplan als Kontrolle bei unerfülltem Kinderwunsch einzuführen. Meiner Ansicht nach sollte man erst prüfen ob eine Frau vom medizinischen Standpunkt gesehen schwerer schwanger werden kann, bevor man ihre Eierstöcke mit teuren künstlichen Hormonen stimuliert.

Auf der belgischen Sensiplan Homepage habe ich gelesen, dass du gemeinsam mit der berühmten Comiczeichnerin Cécile Schmitz, die unter anderem schon an Asterix mitwirkte, den ersten NFP Comic „Viki – eine Lektion in Liebe” entworfen hast. Wie kamst du auf die Idee ein Comic zu entwerfen und welche Botschaft möchtest du mit diesem Werk transportieren?

Ich bemerkte in meinem Umkreis, dass die Jugendlichen kaum Kenntnisse über die gemeinsame Fruchtbarkeit von Mann und Frau haben. Zudem ist Belgien so etwas wie die Mutter des europäischen Comics mit Tintin, Lucky Luke und etlichen anderen Comics. Das Medium war in meinen Augen ideal, um einem größeren Publikum wieder ein Bewusstsein für ihre eigene Fruchtbarkeit zu vermitteln. Vor etwa 20 Jahren lernte ich dann Cécile Schmitz kennen und wir entwarfen die schöne Geschichte von Viki. In dieser versuchen wir nicht nur das biologische Wissen über die Fruchtbarkeit darzulegen, sondern auch den gegenseitigen Respekt in der Partnerschaft, Sexualität und natürlich das Bewusstsein für den eigenen Körper zu stärken.

Wo gibt es das Comic zu kaufen? Ist das Comic auch in englischer oder deutscher Sprache erhältlich?

Es gibt für den Comic nur eine niederländische und französische Fassung, die bei mir über die belgische NFP Homepage (www.nfp.be) verfügbar ist.

Du bist Vater von fünfs Kindern, hast du von Anfang an, gemeinsam mit deiner Partnerin NFP Methoden für deine Familienplanung eingesetzt?

Meine Partnerin und ich wollten sowieso schon immer eine große Familie. Die Pille oder andere hormonelle Methoden kamen für meine Frau nicht infrage. Im Jahr 1987 las meine Frau in einer französischen Frauenzeitschrift (meiner Mutter) zufällig einen Artikel von Michèle Guy. Das war unser erster Kontakt mit natürlichen Methoden. Natürlich kann man aus einem kurzen Artikel einer Zeitschrift keine NFP Methode wirklich erlernen. Und so war unsere Anwendung nicht besonders professionell, das Resultat waren drei Kinder in drei Jahren *lacht*. Das war für uns, wie schon erwähnt, kein Problem, da wir uns ja eine große Familie wünschten. Kurze Zeit später besuchten wir den NFP Beraterkurs. Anschließend nahmen wir sogar an der internationalen Sicherheitsstudie der Forschungsgruppe NFP teil bei der die Sicherheit der Sensiplan Methode geprüft wurde und reichten regelmäßig unsere Zyklen ein. Nach drei Jahren überkam uns dann wieder der Kinderwunsch, bei dem wir natürlich unser Wissen über Sensiplan einsetzten. Beim vierten Kind, klappte es mit Sensiplan im ersten Zyklus. Beim fünften dauerte es lediglich drei Zyklen bis meine Frau schwanger wurde. Schön, dass man mit Sensiplan eine so mächtige Methode in der Hand hat um seine Familienplanung anzugehen.

Ähnlich wie in Deutschland gibt es in Belgien NFP BeraterInnen, die die symptothermale Methode nach Sensiplan lehren. Wie viele NFP BeraterInnen gibt es aktuell in Belgien und sind diese ebenso in Regionalgruppen organisiert?

Zur Zeit sind ungefähr 25 NFP BeraterInnen aktiv für eine Bevölkerung von etwa 6 Millionen Einwohnern. Wir haben heute vier Regionalgruppen in Flandern. Unter den BeraterInnen sind überwiegend Hebammen, ApothekerInnen und ÄrztInnen. In naher Zukunft wollen wir neben dem Beratungsangebot für Sensiplan auch NFP Fortbildungen für Ärzte anbieten. Hierfür schulten wir eine studierte Biologin und Medizinerin, die uns in naher Zukunft bei diesen Veranstaltungen unterstützen wird.

In Deutschland wird gerade eine Studie durchgeführt, um zu erforschen wie sicher die symptothermale Methode nach den Regeln der AG NFP auch ohne Beratung ist. Du bist in Belgien als NFP Berater tätig. Glaubst du, dass wir als BeraterInnen alle arbeitslos werden, wenn bei der Studie herauskommt, dass man die symptothermale Methode ebenso sicher ohne Beratung erlernen kann?

Ohne dem Ergebnis der Studie vorwegzugreifen, bin ich davon überzeugt, dass eine eventuell hohe Sicherheit nur für eine bestimmte Anwendergruppe der Studie eintreten wird. Frauen mit relativ regelmäßigen und eindeutigen Zyklen werden im Selbststudium wahrscheinlich eine ähnlich hohe Sicherheit wie Frauen erreichen, die einen Kurs besucht haben. Die Frauen aber, die z.B. vor der Sensiplan Anwendung die Pille genommen haben und dadurch eventuell schwierige Zyklen haben, werden sicher immer noch unsere Unterstützung brauchen.

Zudem gibt es ja nicht nur Frauen, die eine Schwangerschaft vermeiden wollen, die in die Beratung kommen. Die Bedeutung der Beratung für den Kinderwunsch wird meiner Ansicht nach gerade in Belgien stark zunehmen. In Belgien gibt es aktuell schätzungsweise 20 000 Paare im Jahr, die jetzt ohne Wissen über den eigenen Zyklus in die IVF-Beratung gehen. Wir sind davon überzeugt, dass mindestens ein Drittel dieser Frauen mit Sensiplan und ein bisschen Geduld spontan schwanger werden können.

Die Beratung richtet sich meiner Ansicht nach vorwiegend an Frauen, die keine Hormonverhütung mehr wollen, und keine Lust haben ohne Begleitung Bücher zu lesen und sich alles selbst zu erarbeiten. Es gibt immer wieder Frauen, die in die Beratung kommen, die schon wenige Zeilen lesen im Buch als anstrengend empfinden. Aus diesem Grund gehe ich davon aus, dass immer noch sehr viele Frauen NFP BeraterInnen zum Erlernen der Sensiplan Methode aufsuchen werden. Für mich ist das Erlernen von Sensiplan wie Autofahren: Am besten lernt man es mit einem erfahrenen und ausgebildeten Lehrer.

Du bist nun schon etwa 25 Jahre für die NFP aktiv, was war dein schönstes Erlebnis, das du mit der Natürlichen Familienplanung (NFP) verbindest?

Es gibt nach 25 Jahren so viele schöne Momente. Es fällt mir schwer, mich für eine Geschichte zu entscheiden. Nach einiger Überlegung habe ich dann eine Geschichte gefunden, die mich bis heute stark bewegt. Vor etwa 20 Jahren hatte ich einen NFP Kurs mit einer Hand voll Paaren. Ein Paar wollte die Senisplan Methode besonders ehrgeizig erlernen. Dem Paar war vorallem die höchste Sicherheit sehr wichtig. Auf gar keinen Fall mehr schwanger werden – schließlich hatten sie schon zwei Töchter zu versorgen, was als Selbständige nicht immer einfach ist. Ein oder zwei Jahre später empfing ich eine Postkarte mit einer Geburts-Ankündigung von diesem Ehepaar. Ich war natürlich sehr überrascht und machte mir schon etwas Sorgen, ob sie Sensiplan doch nicht richtig verstanden haben. Natürlich fragte ich nach, ob alles in Ordnung sei. Beim Gespräch stellte sich heraus, dass das Paar viele Jahre erfolgreich und preiswert mit NFP verhütet hatte. Sie waren so glücklich, auch in ihrer Erfahrung, dass NFP sicher war, dass sie sich noch ein Kind wünschten. Viele Jahre später traf ich diese Familie wieder, und auch den, inzwischen schon groß-gewachsenen Sohn. Ich erfuhr das vielleicht eindrucksvollste Detail dieser Geschichte: Aus Dankbarkeit – obwohl ich nichts Besonderes getan hatte – gaben sie ihm meinen Vornamen Pierre. Als ich fragte, wie der Name entstanden sei, bestätigten sie mir, dass sie ihn wirklich nach mir benannt haben. Was für eine unverdiente Ehre 🙂

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  • Amanda
    1. Juli 2015, 14:21

    Danke für dieses sehr interessante Interview. Ich wohne selbst in Belgien und bin daher natürlich interessiert, wie Sensiplan hier verbreitet und organisiert ist. Durch das Interview und mit eigenen Recherchen konnte ich einiges dazu lernen.
    Für den in Deutschland lebenden Leser ist es vielleicht nicht relevant, denoch fehlte mir hier die Herausstellung, dass es in Belgien zwei Regionen plus Brüssel gibt, die vollkommen unterschiedlich organisiert sind.
    Laut Interview vertritt Pierre Hernalsteen die NFP Gruppe Belgien. Aber eigentlich handelt es sich allein um die nierderländischsprachige Region Flandern. Die französischsprachige (nicht französische!) Region Wallonien und der francophone Teil Brüssels hat mit dieser Gruppe allerdings gar nichts zu tun. Sie organisieren sich unter dem Namen „Fédération francophone pour le Planning familial naturel“ (Französischsprachiger Verband für die Natürliche Familienplanung) unter pfn.be .
    Ich warte sehnsüchtig auf die französische Übersetzung, die leider immer noch nicht herausgegeben werden konnte; denn ich würde mich gerne in der Richtung, vielleicht sogar als Beraterin engagieren.
    Leider ist durch die Trennung der Sprache und anderer tiefgreifender Konflikte eine Zusammenarbeit der Regionen unmöglich, was ich sehr bedauere. Wenn man die beiden Webseiten vergleicht, sieht man auch gleich, dass die Flamen mehr Geld und Mühe in die Sache zu stecken scheinen, während die Wallonen leider nicht hinterherkommen. Dabei wird soviel Potenzial verschenkt, was ich jedes Mal sehr schade finde.

    Ich möchte euch dennoch für diesen Beitrag danken. So ein Blick ins Ausland ist auf jeden Fall spannend. Sind noch andere Länder geplant oder gäbe es da eher ein Sprachproblem?

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