NFP bei Kinderwunsch – Interview mit PD Dr. Gnoth

PD Dr. med. Christian Gnoth

Wie kann NFP bei Kinderwunsch helfen? Um diese Frage zu beantworten, haben wir den NFP Experten und Reproduktionsmediziner Christian Gnoth befragt.

Nach meinen Recherchen sind Sie der absolute Fachexperte für NFP bei unerfülltem Kinderwunsch und haben zahlreiche Veröffentlichungen zu diesem Thema publiziert. Wie sind Sie erstmals zur NFP gekommen?

Eigentlich war es purer Zufall. Ich habe mich schon zum Ende meiner Studienzeit an der Universität Düsseldorf (1989) nach einer Möglichkeit, ein wenig Geld zu verdienen umgesehen. Der bekannte NFP Wissenschaftler Prof. Freundl fragte mich während meines Praktischen Jahres in seiner Abteilung, ob ich nicht Interesse hatte, zusammen mit Herrn Dr. Michael Bremme, an der ersten Atari Version der NFP-Zyklusdatenbank zu programmieren. Vor diesem Projekt hatte ich keine Ahnung von den NFP Methoden. Doch bei der Mitarbeit an dieser heute weltweit größten NFP Zyklusdatenbank lernte ich mehr und mehr über den komplexen weiblichen Zyklus und die symptothermalen Methode der NFP. Ich entwickelte ein starkes Interesse für die Themen Hormone und Fruchtbarkeit, so dass ich mich entschloss in die gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin zu gehen und mich der Forschungsgruppe NFP anzuschließen. Bis heute ist meine Faszination für die Zyklusforschung ungebrochen und so erforsche ich immer weiter neue Fragen zu diesem Thema , um u. a. das NFP Wissen in der Fachwelt bekannt zu machen und natürlich vor allem an meine Patientinnen in meiner Praxis in Greevenbroich weiterzugeben.

Viele LeserInnen kennen Sie als Autor des Buches *Kinderwunsch – natürliche Wege zum Wunschkind, in dem Sie Methoden der chinesischen Medizin, Natürlichen Familienplanung (NFP) sowie der modernen Reproduktionsmedizin (IVF, ICSI u. a.) vorstellen. Wie kam es zu diesem Buch?

Ich hatte schon vorher an Büchern zum Thema Kinderwunsch mitgewirkt (bei G&U, zusammen mit Freundl und Frank-Herrmann) und so fragte der G&U-Verlag erneut bei mir an, ob ich diesmal nicht Lust hätte, ein Buch zusammen mit einem Heilpraktiker zum Thema Kinderwunsch zu schreiben. Anfangs war ich ehrlich gesagt nicht begeistert, da es für viele ernsthafte Schulmediziner ein No go ist, mit einem Heilpraktiker gemeinsame Sache zu machen. Die Herangehensweisen Heilpraktiker und Heilpraktikerinnen sind halt häufig nicht durch wissenschaftliche Studien belegbar. Doch auf der anderen Seite wusste ich aus der Erfahrung mit den eigenen Patienten, dass die Nachfrage nach einem Kinderwunschbuch, das beide Ansätze darstellt, groß war. Ich überlegte mir daher eine Strategie, wie wir die klassische Reproduktionsmedizin und die Homöopathie zum Thema Kinderwunsch in ein Buch umfassend darlegen können. Es sprach eigentlich nichts dagegen, die Homöopathie und die Methoden der Reproduktionsmedizin nebeneinander, in getrennten Kapiteln, darzustellen. Interessierte Leser, die sich für homoöpathische Methoden bei Kinderwunsch interessieren erfahren somit gleichzeitig etwas über die etablierten Möglichkeiten der Reproduktionsmedizin. Hierbei muss ich betonen, dass für mich NFP klar zu den Methoden der Schulmedizin gehört, denn im Gegensatz zu vielen komplementären Methoden, basiert NFP auf zahlreichen wissenschaftlichen Studien, deren Ergebnisse jederzeit reproduzierbar sind. Insgesamt bin ich mit dem Kinderwunschbuch sehr zufrieden, denn es zeigt meiner Ansicht nach, dass die Schulmedizin und die komplementäre Medizin sich gegenseitig ergänzen können. Aus diesem Grund kommen in meiner Kinderwunsch-Praxis beide Ansätze bei der Behandlung von Patienten zur Anwendung.

Immer mehr Paare bleiben unerwünscht kinderlos. Wie und wann kann NFP bei unerfülltem Kinderwunsch helfen? Welche Möglichkeiten gibt es NFP Methoden sinnvoll mit den modernen Methoden der Reproduktionsmedizin zu kombinieren?

Zunächst ist NFP Diagnostik. Meiner Ansicht nach sollte sich jedes Paar schon weit vor einem Kinderwunsch mit NFP auseinandersetzen. Viele Frauen tauchen erst mit Mitte/Ende 30 in unserer Praxis auf. Meist haben sie schon sehr viele Jahre die Pille zur Verhütung genommen. Ihr natürlicher Zyklus konnte sich eigentlich nie ungestört entwickeln und war die ganzen Jahre maskiert, dann soll es selbstverständlich sofort nach dem Absetzen der Pille mit dem Kinderwunsch klappen. Jedoch wissen viele Frauen nicht, dass es gerade nach jahrelanger Pillenanwendung dauern kann, bis sich der natürliche Zyklus einreguliert. Somit können wir als Ärzte teilweise erst nach Monaten Zyklusstörungen diagnostizieren. Viele Zyklusstörungen werden durch die hormonelle Verhütung mit der Pille maskiert und bleiben somit lange Zeit unerkannt. Somit kann es unter Umständen schon relativ spät für eine Erfolg versprechende Kinderwunschbehandlung sein. Würden mehr Frauen NFP zur Verhütung anwenden, würden Zyklusstörungen und Krankheiten schon vor dem eigentlichen Kinderwunsch rechtzeitig und schnell erkannt und könnten behandelt werden.

Zudem lässt sich die gewonnene Fruchtbarkeitskompetenz und Kenntnis über den eigenen Zyklus auch sehr positiv für den Kinderwunsch nutzen. Beispielsweise kann eine Frau mithilfe der Anwendung von NFP Methoden schnell herausfinden, wann sie optimal fruchtbar ist und ob sie im jeweiligen Zyklus einen Eisprung hat. Dies können die Paare nun gezielt nutzen und an den hochfruchtbaren Tagen vor dem Eisprung Verkehr haben, um schwanger zu werden. Wie schon erwähnt sind Störungen in der Follikelreifung oder Gelbkörperphase anhand der Basaltemperaturkurve schnell diagnostizierbar. Somit kann eine eventuelle Hormontherapie bei einer Gelbkörperschwäche mithilfe der Zyklusaufzeichnungen viel früher, effektiver und schonender an geeigneten Tagen im Zyklus erfolgen.

Kann man mit NFP eventuell schneller vorhersagen, ob der Einsatz von modernen Methoden der Reproduktionsmedizin (z. B. IVF, ICSI, IUI) nötig ist?

Ja, diese Frage lässt sich mit NFP eigentlich am besten und schnellsten beantworten. Ist eine Frau in sechs dokumentierten NFP Zyklen mit Sex an den hochfruchtbaren Tagen nicht schwanger geworden, so kann ein größeres Problem mit der Fruchtbarkeit vorliegen. In einem solchen Fall sollte bei Kinderwunsch dringend ein Facharzt aufgesucht werden, dieser kann dann weitere diagnostische Schritte und eventuelle Behandlungen erörtern.

Ohne NFP ist die Indikation zu einer differenzierten Diagnostik und Einleitung therapeutischer Schritte nur schwierig möglich. Häufig entstehen Fehldiagnosen, da die Hormonspiegel beispielsweise an den falschen Zyklustagen gemessen werden. In manchen Fällen werden die modernen Methoden der Reproduktionsmedizin (IVF, ICSI, IUI) daher zu früh und ohne eine wissenschaftliche Indikation eingesetzt, was holländische Studien jüngst deutlich gezeigt haben. Man gibt als Faustregel zwar vor, dass wenn der Kinderwunsch nach 12 Monaten auf natürlichem Weg nicht eingetreten ist, man einen Arzt aufsuchen soll. Doch wer hat denn geschaut, ob das Paar in den 12 Monaten überhaupt wirklich an den fruchtbaren Tagen Verkehr hatte? NFP ist aus meiner Sicht die wichtigste Präventionsmaßnahme, um aus einem Kinderwunsch nicht einen unerfüllten Kinderwunsch werden zu lassen, da sie dem natürlichen Zyklus wieder einen Raum gibt, und damit die Fruchtbarkeitskompetenz in das Leben der Menschen zurückholt.

Sie haben sich ihren Kinderwunsch gemeinsam mit ihrer Frau erfüllt und einen Sohn bekommen. Welche NFP Methode für ihren Kinderwunsch eingesetzt?

Als ich zusammen mit anderen Kollegen an der ersten Anwenderstudie zum Persona-Verhütungscomputer (Bonnar J 1999) gearbeitet habe, hatten meine Frau und ich selbst an dieser Studie teilgenommen. Mit bekanntem Ausgang …

Erst kürzlich haben Sie ein neues medizinisches Buch „Perikonzeptionelle Frauenheilkunde ” herausgebracht, was wohl so ziemlich das erste Buch zu diesem Thema für Mediziner mit einem großem NFP Kapitel ist. Wie sehen Sie die Chancen dieses Buch als Standardlehrbuch im Medizinstudium unterzubringen und damit NFP unter Medizinern bekannter zu machen?

Ich hoffe es sehr, dass sich dieses Buch von anderen Büchern abheben kann und viele Mediziner fachübergreifend erreicht. Die Chancen stehen gar nicht so schlecht, schließlich hat das Buch „Perikonzeptionelle Frauenheilkunde” erst kürzlich gute Kritiken in einer Rezension im Deutschen Ärzteblatt bekommen. Es ist ein interdisziplinäres Werk, das viele Experten verschiedener Fachrichtungen zusammengebracht hat. Beispielsweise enthält es auch Kapitel, welche für Internisten oder Neurologen interessant bzw. von Internisten und Neurologen für den Gynäkologen geschrieben wurden. Natürlich kommen die Gynäkologen bei einem Buch über Kinderwunsch, Schwangerschaft und Geburtshilfe nicht zu kurz, doch auch andere Ärztefachgruppen sollen zu diesem Buch greifen, womit es ein weiterer Schlüssel zur Verbreitung von NFP unter Schulmedizinern sein könnte.

Sie sind ein Fachmann für Frauen, die am PCO Syndrom leiden und somit sehr lange unregelmäßige Zyklen haben. Kann man einer Frau mit PCOS auf natürlichem Weg helfen, schwanger zu werden oder geht es nicht ohne die modernen Methoden der Reproduktionsmedizin (IVF, ICSI)? Wie gut stehen die Chancen sich als Frau mit PCOS den Kinderwunsch zu erfüllen?

Die Chancen sich den Kinderwunsch zu erfüllen sind für Frauen mit PCOS eigentlich relativ gut. Nach einer aktuellen Studie (West S 2014) ist eine 44 jährige Frau mit PCOS etwa genauso selten kinderlos, wie eine Frau ohne PCOS. Jedoch ist die Kinderzahl im Vergleich zu Frauen ohne diese Zyklusstörung vermindert. Hintergrund ist natürlich, dass eine PCOS Frau aufgrund der teilweise wirklich langen Zyklen viel weniger Eisprünge in ihrem Leben produziert. Damit haben diese Frauen einfach viel weniger Zyklen zur Verfügung, um schwanger zu werden. Ebenso ist es bei langen Zyklen schwieriger den Eisprungszeitpunkt einzugrenzen. Hier kann die NFP Anwendung sehr hilfreich sein, schließlich kündigt sich der Eisprung häufig durch das Zervixschleimsymptom an. Somit sollte eine Frau mit PCOS und Kinderwunsch einfach an Tagen mit Zervixschleim bester Qualität Verkehr haben, um schwanger zu werden. Beobachtet die Frau zusätzlich noch die Basaltemperatur, kann sie sehr gut eingrenzen, wann ihre fertile Zeit im Zyklus vorbei ist. Auf diese Weise sind schon sehr viele Frauen mit PCOS vor dem Besuch in einem Kinderwunschzentrum auf natürlichem Weg schwanger geworden. Kommt es jedoch nach sechs Zyklen mit optimalem Verkehr in der hochfruchtbaren Zeit nicht zu einer Schwangerschaft, muss über die Anwendung von modernen Methoden der Reproduktionsmedizin (ovarielle Stimulationstherapie) nachgedacht werden. Auch hier sind die Erfolgsraten vielversprechend.

Aktuell sind Sie sehr stark auf dem Gebiet der Anti-Müller-Hormon (AMH)-Forschung unterwegs. Lässt sich mit der Messung des AMH Spiegels im Blut wirklich das Eintreten der Wechseljahre voraussagen? Was bringt ein AMH Bluttest wirklich?

Reproduktionsmediziner sind sich in der Frage einig, dass das AMH das wichtigste reproduktive Hormon der Frau ist. Allerdings können der Übergang in die Wechseljahre durch AMH nicht exakt vorhersagt werden. Vielmehr gibt das AMH Informationen über die Reserve der Eizellen einer Frau, die in der Regel in den Wechseljahren dramatisch zurückgeht.

Man unterscheidet den monatlichen Menstruationszyklus vom ovariellen Zyklus. Der ovarielle Zyklus der Frau dauert etwa ein Jahr und stellt die Basis für eine funktionierende Eireifungsphase im Menstruationszyklus dar. Der AMH Spiegel ist ein direkter Indikator für den Eizellenvorrat (ovarielle Reserve) einer Frau. So kann man bei Extremwerten zwei sehr wichtige Diagnosen stellen. Hat zum Beispiel eine 19 jährige Frau einen AMH Spiegel von unter 1, dann ist ihr Eizellenvorrat deutlich zu niedrig. Sie hat vermutlich nur noch wenige, optimale Jahre, um schwanger zu werden. Man kann sich vorstellen, dass die Lebensplanung der 19 jährigen Frau mit einer solchen Diagnose völlig auf den Kopf gestellt werden kann. Anders herum kann man aus deutlich zu hohem AMH Wert in der Regel auf das bekannte PCOS schließen. Die Messung des AMH Spiegels wird in naher Zukunft eines der bedeutsamsten Instrumente der Frühdiagnostik von PCOS sein. Somit werden wir Frauen mit PCOS künftig viel schneller und präziser diagnostizieren können.

Ich habe kürzlich gelesen, dass die Messung des AMH enormen Schwankungen unterliegt. Das würde ja bedeuten, dass man sich auf die gemessenen Werte kaum verlassen kann. Sind Diagnosen über die Fruchtbarkeit oder PCOS damit nicht eigentlich unzuverlässig?

Ja, es gibt noch technische Probleme bei der Messung des AMH Spiegels. Diese werden aber in Kürze mit einem neuen Testsystem (Assay) behoben sein. Somit werden auch die Vorhersagen und Diagnosen zuverlässig sein. Bei extremen Werten sind Diagnosen allerdings auch jetzt schon zuverlässig möglich.

Besonders spektakulär fand ich die Studie zur Frage „Hat das Gewicht einen Einfluss auf die Fruchtbarkeit?” (Kubka MS 2011), an der sie kürzlich mitgewirkt haben. Können Sie die Ergebnisse kurz zusammenfassen?

In dieser Studie wurde vor allem untersucht, wie die Erfolgsrate von modernen Methoden der Reproduktionsmedizin (IVF, ICSI) in Abhängigkeit vom Gewicht des Mannes bzw. der Frau ist. Hierbei stellte sich bei IVF, die höchste Erfolgrate ein, wenn der Mann leicht übergewichtig ist. Bei ICSI wurde die höchste Erfolgsrate bei Paaren erreicht, wo entweder der Mann oder die Frau leicht übergewichtig waren. Die schlechteste Erfolgsrate bestand bei beiden Methoden, wenn die Frau deutlich übergewichtig war. Generell zeigt die Studie, dass das Gewicht schon einen Einfluss auf die Fruchtbarkeit hat. Dennoch würde ich keiner Frau vor einer IVF oder ICSI Behandlung raten zu- oder abzunehmen. Die Studie hat für mich eher einen informativen Charakter, wenn man eben ein Paar mit einer bestimmten Gewichtskonstellation behandelt.

Kürzlich haben Sie eine sehr interessante Studie (Gnoth 2011) aus ihrer Praxis veröffentlicht, die besagt, dass etwa 85% ihrer Patientinnen innerhalb von 12 Zyklen mit Methoden der Assistierten Reproduktionstechnik (IVF, ICSI, Kryo) ein Kind bekommen. Das ist eine ähnlich gute Geburtenrate, wie sie gesunde Frauen im besten Alter aufweisen. Ist das nicht die falsche Botschaft an Paare, die ihren Kinderwunsch zugunsten der Karriere aufschieben?

Die hohe Geburtenrate bezieht sich auf alle unsere Patientinnen aller Altersstufen. Bei über 40 jährigen Patientinnen liegt die Geburtenrate nur noch bei etwa 25 Prozent. Auch ich vermag die biologische Uhr der Frau nicht zurück zudrehen. Ebenso sind 12 Zyklen unter Umständen eine sehr lange, anstrengende Zeit. Die Prozeduren und Methoden sind für die Patienten sowohl psychologisch als auch körperlich belastend. Ich bewundere bis heute die Geduld und Kraft vieler Paare in meiner Praxis. Auch wenn unerfüllter Kinderwunsch mein Tagesgeschäft ist, würde ich allen Frauen raten, im besten biologischen Alter auf natürlichem Weg schwanger zu werden. Zudem interpretiere ich die Ergebnisse der Studie etwas anders, als Sie es tun. Die Studie zeigt nämlich, dass die Reproduktionsmedizin sich noch so sehr anstrengen kann, sie kann die eingeschränkte Fertilität eines Paares wieder auf das natürliche Niveau heben, dieses aber nicht überbieten. Im Prinzip können wir durch die Methoden der Assistierten Reproduktionstechnik nur das reproduktive Potenzial, was im Körper der Frauen und Männer steckt, wieder auf das natürliche Normalniveau heben.

Für mich ist es faszinierend, dass man mit der symptothermalen Methode den Eisprung bis auf wenige Tage eingrenzen kann (Frank-Herrmann 2005). Nutzen Sie NFP auch zur Zyklusdiagnostik bei unerfülltem Kinderwunsch in Ihrer Praxis? Wie bereit sind Ihre Patientinnen, die NFP Methode zu erlernen?

Natürlich ist es beeindruckend, welche Möglichkeiten die NFP Methode in der Diagnostik und bei der Eigrenzung des Eisprungs leisten kann. Für den Kinderwunsch ist der bedeutsamste Fruchtbarkeitsindikator mit Abstand der Zervixschleim noch weit vor der Basaltemperatur oder irgendwelchen Hormonen, dies konnte ich zusammen mit anderen Wissenschaftlern zeigen (Bigelow 2004). Aus diesem Grund erkläre ich meinen Patientinnen sehr genau, was der Zervixschleim ist, wie man ihn beobachtet, und wann man am besten Verkehr haben sollte, um schwanger zu werden. Jedoch schließt NFP noch die Basaltemperaturmessung mit ein, dies ist jedoch manchen Patientinnen etwas zu aufwendig. Falls ich sie jedoch ermutigen kann, auch ihre Zyklen symptothermal zu dokumentieren, setze ich diese Aufzeichnung natürlich gern zur Diagnostik ein.

Viele Paare denken, dass es optimal für den Kinderwunsch ist, alle 24 Stunden Sexualverkehr zu haben. Setzen solche Infos, die Paare nicht zu sehr unter Druck?

Es ist schön, dass sie das ansprechen. Ja, viele Paare können sich durch solche Aussagen unter enormen Druck gesetzt fühlen. Aus diesem Grund spreche ich in der Kinderwunschsprechstunde ganz anders über dieses Thema. Es ist nämlich so, dass wenn man an den zwei bis drei Tagen mit bester Schleimqualität zumindest einmal Verkehr hatte, hat man etwa 80 Prozent der individuellen Konzeptionschance in diesem Zyklus genutzt. Es kommt also nicht auf die Quantität, sondern auf das richtige Timing an. Spermien können ja bekanntlich bis zu 5 Tage im Körper der Frau befruchtungsfähig bleiben, womit sich auch hinsichtlich des Timings ein gewisser Spielraum ergibt.

Trotz Ihrer Arbeit in der Praxis und ihrer wirklich umfangreichen Forschungsarbeit nehmen Sie sich fast jedes Jahr Zeit, um nach Eritrea zu fliegen und dort Menschen zu helfen. Was tun Sie dort genau und wie kam es zu Ihrem jährlichen Einsatz in Eritrea?

Der Kinderwunsch ist in Eritrea ein ganz zentrales Thema. Für Frauen ist es dort schlimmer kein Kind zu haben, als keinen Mann zu haben. Frauen ohne Kind werden in der Gesellschaft ausgegrenzt. Aus diesem Grund ist der Kinderwunsch sehr groß. Falls sich dieser nicht erfüllt, steht für die Frau sehr viel auf dem Spiel, die ganze soziale Existenz. Nun gibt es in Eritrea, die technischen Möglichkeiten der Reproduktionsmedizin nicht. Ebenso sind Ultraschalluntersuchungen oder Hormonmessungen nur selten möglich. Das einzige Hilfsmittel, was die Menschen in Eritrea haben, um etwas über ihre Fruchtbarkeit zu erfahren und sie zu optimieren, ist fertility awareness. Auch in der Kontrazeption spielen natürliche Methoden eine sehr wichtige Rolle, da die Pille vielfach aus verschiedenen Gründen abgelehnt wird, bzw. nicht erhältlich ist. Deshalb helfe ich bei der Ausbildung von neuen Gynäkologen für etwa 10 Tage im Jahr, um ihnen u. a. das nötige NFP Wissen zu vermitteln.

Es gibt wohl niemanden, der geeigneter wäre, mit seinem Fachwissen über den Kinderwunsch ein paar Jahre in die Zukunft zu blicken. Wo steht die NFP Ihrer Ansicht nach beim Kinderwunsch in den nächsten 5 bis 10 Jahren?

Zunächst einmal ist die absolute Priorität den natürlichen Zyklus in den nächsten 5 Jahren wieder zurück in das Bewusstsein und das „Leben“ der Frauen zu holen. Aktuell ist der natürliche Zyklus „abgeschafft,“ oft, noch bevor der Zyklus sich entwickeln kann, wird er durch die hormonelle Verhütung maskiert. Kommt dann der Kinderwunsch in den Mittdreißigern einer Frau, wird der Zyklus häufig durch Hormone stimuliert, um ihn wieder anzukurbeln. Diese Entwicklung muss beendet werden, denn Frauen haben sowohl beim Kinderwunsch als auch bei der Verhütung mit NFP eine wissenschaftlich fundierte Alternative.

Damit dies gelingt, muss sich jedoch die NFP weiterentwickeln, moderner und praxistauglicher werden. Es reicht aus meiner Sicht nicht, dass die Aufzeichnung der Zyklen nicht mehr auf dem Papier, sondern auf dem Smartphone erfolgt. Aus meiner Sicht muss sich auch die Temperaturmessung deutlich verändern, hierbei liefern Firmen wie duofertilty interessante Ansätze. Möchte man die NFP weit verbreiten und „salonfähig machen“, muss die Temperatur bequem, z. B. über eine Uhr auf der Haut störungsfrei gemessen werden. Messorte wie die Scheide, den Mund oder After halte ich für nicht massentauglich. Das erlebe ich auch in der täglichen Praxis mit meinen Patientinnen. Überdies wäre es viel besser, wenn man bei der Auswertung ohne den Zervixschleim auskommen würde. Vielleicht lässt sich in den nächsten 5 Jahren sogar eine ganz neue NFP Methode, die ausschließlich eine kontinuierliche Temperaturmessung über die Haut nutzt, entwickeln.

Darüber hinaus muss sich die Art und Weise, wie wir NFP Methoden erlernen verändern. Meiner Ansicht nach hat die klassische NFP Beratung keine Zukunft mehr. In der heutigen Zeit lernen die Leute bequem online am PC. Aus diesem Grund muss das Online-Beratungsangebot verbessert und ausgebaut werden.

Zusätzlich werden die Hormoncomputer, die Hormonmessungen im Urin mit dem NFP-Regelwerk kombinieren an großer Bedeutung gewinnen, da sie sich enorm weiter entwickeln werden und präzise Ergebnisse liefern. Das wird vor allem den Bereich der Empfängnisoptimierung betreffen.

Die Chancen für eine bundesweite Verbreitung von NFP Methoden stehen in den nächsten 5 Jahren besser als jemals zuvor, denn immer mehr Menschen entwickeln ein Gesundheits- und Nachhaltigkeitsbewusstsein in allen Lebensbereichen. Wenn wir es schaffen auf diesen Zug aufzuspringen, dann ist einfach alles möglich.

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  • Alexandra
    6. November 2014, 01:22

    Tolles Interview, tolle Fragen!!! Interessanter Ansatz, die Pille abzuschaffen. Aber die Wissenschaftlichkeit hervorzuholen und NFP salonfähig zu machen..Ich weiß nicht, ob diese Uhren der richtige Weg sind. Ich bin für Natürlichkeit. Das Leben bahnt sich seinen Weg.
    Eigentlich wäre der Weg über die Uhren ja die Alternative zur Pille..für bequeme Menschen..Aber ob sie sich dann mit ihrem Zyklus mehr auseinandersetzen ist die Frage. Werden wir am Ende nur wie Vieh befruchtet…Nee, wenn ich an das heutige Handyzeitalter denke und was Technik möglich macht, fühle ich mich und die Frauen in der Zukunft noch mehr entfremdet und der fruchtbare Tag/Zeitraum wird nicht mehr mit Lust unbewusst gelebt, sondern der Freund schaut womöglich auf die Uhr und sagt: „Lass uns Leben erzeugen, Schatz“. Das ist für mich völlig unnatürlich.

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